Allgemeines zu Fehl- und Frühgeburten |
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Einführung |
EinführungEine der vordringlichsten Aufgaben der Schwangerschafts- und Geburtsmedizin besteht nach wie vor darin, die Zahl der sehr frühen Frühgeborenen (also solcher, die vor Abschluss von 32+0 Schwangerschaftswochen (SSW) geboren werden) wirksam zu reduzieren. Aus diesem Kollektiv rekrutiert sich nämlich der Hauptanteil der post partum verstorbenen oder behinderte Kinder (zur Übersicht s. Hentschel 2001). Während die Mortalität in den letzten Jahrzehnten erfreulich gesunken ist, wird die immer noch hohe Rate der langfristig beeinträchtigten, sehr frühen Frühgeborenen unterschätzt. Der Schwerpunkt der Arbeit des Erich Saling-Institutes liegt daher auf frühpräventiven Maßnahmen, die darauf zielen, die Rate von Spätaborten und Frühgeborenen zu senken. Ein großer Teil dieser sehr frühen Frühgeburtsereignisse lässt sich aber inzwischen – bei Anwendung geeigneter Maßnahmen – wirksam verhindern. |
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DefinitionenDie begriffliche Differenzierung zwischen Frühabort, Spätabort, Totgeborenem, Frühgeborenem und Reifgeborenem erfolgt nach den in Tabelle 1 genannten Kriterien: Tabelle 1: Definition Abort, Frühgeburt etc. (GG = Geburtsgewicht)
Leider wird in der Literatur nicht immer zwischen Früh- und Spätaborten unterschieden. Diese Grenzziehung ist aber wichtig, da Früh- und Spätaborte sowie Frühgeburten teilweise unterschiedliche Ursachen haben. Demzufolge ist für ihre Vermeidung auch eine andere Vorgehensweise erforderlich. Zum Beispiel führen Chromosomenanomalien eher zu Frühaborten, während aszendierende genitale Infektionen eher zu Spätaborten und zu frühen Frühgeburten führen. Die Klassifikation der Neugeborenen kann nach Schwangerschaftswochen, nach Geburtsgewicht sowie nach Perzentilen erfolgen (s. Tabelle 2). Tabelle 2: Klassifikation
der Neugeborenen
* nach ICD 10 [ https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/ ] # Die Definitionen „Niedriges Geburtsgewicht“, „Sehr niedriges Geburtsgewicht“ und „Extrem niedriges Geburtsgewicht“ sind keine sich ausschließenden Kategorien. Unterhalb der festgesetzten Grenzen sind sie allumfassend und daher überlappend (d.h. „Niedriges Geburtsgewicht“ schließt „Sehr niedriges Geburtsgewicht“ ein und „Sehr niedriges Geburtsgewicht“ schließt „Extrem niedriges Geburtsgewicht“ ein). [ ICD 10 ]
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Ursachen von Spätaborten / frühen FrühgeburtenFür Spätaborte und Frühgeburten ist seit langem eine Reihe von Ursachen bekannt. Lockwood und Kuczynski (1999) ordnen die meisten der bekannten Ursachen einem von vier pathogenen Prozessen zu:
Die verschiedenen Pathomechanismen verlaufen zunächst auf unterschiedlichen Wegen, dann aber über eine gemeinsame Endstrecke, welche schließlich zu Veränderungen der Zervix, vorzeitigem Blasensprung und/oder vorzeitigen Wehen führt und mit einer Fehl- oder Frühgeburt endet (s. Abb. 1). Außerdem kommt als Frühgeburtsursache noch eine iatrogene Schwangerschaftsbeendigung aufgrund kindlicher oder mütterlicher Indikation (z. B. schwere mütterliche Erkrankung) in Frage. Nach H. Schneider et al. (1994) erfolgte letztlich die eigentliche Frühgeburt bei ca.
Vermeidbarkeit der UrsachenManche Ursachen einer Frühgeburt lassen sich kaum, oder gar nicht beeinflussen (z. B. wenn das Kind wegen vorzeitiger Plazentalösung vorzeitig zur Welt gebracht werden muss). Andere Ursachen dagegen lassen sich, wenn die entsprechenden Störungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden, weitgehend vermeiden (z. B. Frühgeburten aufgrund von aszendierenden Infektionen oder Harnwegsinfekten). In Tabelle 3 sind die Haupt-Frühgeburtsursachen auch hinsichtlich ihrer Vermeidbarkeit dargestellt. Tabelle 3: Ursachen für Spätaborte und Frühgeburten
Infektionen als FrühgeburtsursacheWas effiziente Gegenmaßnahmen betrifft, so kann man sich auf die Erkenntnis beschränken, dass der weit überwiegende Teil der vermeidbaren Ursachen – ganz besonders aber im Schwangerschaftsalter zwischen 12+0 SSW und 32+0 SSW – in der aszendierenden genitalen Infektion zu suchen ist und diesbezüglich angesetzte diagnostische und therapeutische Strategien von entscheidender Bedeutung sind. Die erste überzeugende Bestätigung der Aszensionsgenese konnte jedoch schon Anfang der 1980er Jahre durch den von uns eingeführten operativen Frühen Totalen Muttermund-Verschluss (FTMV) gewonnen werden, der eine Barriere innerhalb des Aszensionsbereiches bewirkt. Die wahrscheinlichen Zusammenhänge zwischen aszendierenden Infektionen und der Auslösung eines Spätabortes oder einer Frühgeburt sind in Abb. 2 dargestellt.
Die Assoziation zwischen Infektionen und Frühgeburt ist inzwischen auch durch zahllose andere Studien nachgewiesen worden (Martius 1990, Mc Gregor & French 1997 sowie Romero et al. 1993). Zudem sind Infektionen bei rechtzeitiger Diagnosestellung noch gut einer Therapie zugänglich. Außer aszendierenden genitalen Infektionen, zu denen auch Chlamydieninfektionen zählen, kommen andere Infektionen, insbesondere Harnwegsinfekte (HWI), aber auch systemische Infektionen als Frühgeburtsursache in Betracht. (Untersuchungen auf HWI und Chlamydien sind bereits seit Jahren Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien.) Bei den anderen, weniger häufigen Ursachen sind sowohl die Ansatzmöglichkeiten wie auch die zu erzielenden Erfolgschancen deutlich geringer als bei den Infektionen. Außerdem bestehen bei einem Teil von ihnen auch mittelbare Beziehungen zu den infektiologischen Ursachen.
Psychosoziale UrsachenSeit Jahrzehnten wird von einer Reihe von Autoren immer wieder aufs Neue die Ansicht vertreten, dass die Hauptursache für Frühgeburten soziale Probleme der betreffenden Schwangeren, wie auch psychischer und physischer Stress seien. Natürlich gibt es hier gewisse, lange bekannte Zusammenhänge. „Stress“ kann über verschiedene Mechanismen wirken, einmal über eine Erhöhung des CRH-Spiegels, aber auch über eine Schwächung des Immunsystems, welche zur leichteren Anfälligkeit für Infekte sowohl genitalen als auch nicht genitalen Ursprungs führt. Bei entsprechender Ausschöpfung des Mutterschutzgesetzes kann ein Teil der Schwangeren sowohl vor zu großer physischer Belastung durch ihre Arbeit geschützt, aber evtl. auch bei psychischer Belastung entlastet werden (z. B. durch Krankschreibung, Beratung). Darüber hinausgehende Maßnahmen sind aufwändig, in Einzelfällen sicherlich indiziert und erfolgreich, aber allein schon wegen der heutzutage herrschenden Sparzwänge kaum flächendeckend zu realisieren. |
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Folgeschäden bei FrühgeburtenMortalitätDie Rate an Frühgeborenen (< 37+0 SSW) beträgt in Deutschland ca. 9 %. Besonders gefährdet sind Kinder, die sehr früh (< 32+0 SSW) oder extrem früh (< 28+0 SSW) geboren werden, bzw. mit sehr niedrigem (< 1500 g) oder extrem niedrigen (< 1000 g) Geburtsgewicht zur Welt kommen. Mit sinkendem Geburtsgewicht steigt die perinatale Mortalität sprunghaft an (s. Abb. 3), aber auch die Morbidität der überlebenden Kinder ist immer noch erschreckend hoch.
MorbiditätBei ca. jedem fünften Kind mit einem Geburtsgewicht < 1000 g ist mit mittel- bis schwergradigen Behinderungen (z. B. Zerebralparese, Seh- und Hörstörungen, Epilepsie) zu rechnen (Monset-Couchard et al. 1996, Saigal et al. 1989). Riegel et al. (1995) stellten bei Kindern im Alter von 4 Jahren sogar bei 31,2 % der ehemals < 1500 g Geborenen schwere Beeinträchtigungen fest (im Vergleich zu ca. 2 % im Bevölkerungsdurchschnitt). Andere, nicht ganz so schwere Störungen zeigen
sich häufig erst mit zunehmendem Alter. Monset-Couchard et al. (1996) haben leichtere
Behinderungen bei Nachuntersuchungen einer Gruppe von ehemals mit
einem Geburtsgewicht < 1000 g geborenen Kindern im
4. Lebensjahr bei 31 %, im 8. Lebensjahr sogar
bei 53 % nachgewiesen. Häufig sind beispielsweise Defizite der
Entwicklung und Intelligenz, der Sprachentwicklung sowie reduzierte
schulische Leistungen und Verhaltensprobleme (vgl. Hack et al. 1994, Wolke et al. 1994),
Störungen der viso-motorischen und loko-motorischen Integration,
Hyperaktivität und Konzentrationsstörungen (Stjernqvist et al. 1995). In Abbildung 4 wird das
Ausmaß neurosensorischer Beeinträchtigungen dargestellt. Diese
Zahlen verdeutlichen die vordringliche Aufgabe der
Schwangerschafts- und Geburtsmedizin, die Zahl besonders der sehr
frühen Frühgeburten zu reduzieren.
KostenDarüber hinaus entstehen durch Frühgeburtlichkeit außerordentlich hohe Kosten: nach W. Künzel, Gießen (1997) müssen allein für die Betreuung von Schwangeren mit drohender Frühgeburt und die Versorgung der Frühgeborenen selbst in Deutschland über 1 Milliarde EUR pro Jahr ausgegeben werden – ganz zu schweigen von den Folgekosten, z. B. für eine spezielle Förderung der Kinder. Die erheblichen Kosten sind ein weiterer zwingender Anlass, sich um die Senkung der Raten dieser sehr kleinen Frühgeborenen mit Nachdruck zu bemühen. Aber die eigentlichen Folgen einer Frühgeburt sind nicht zu berechnen: das häufig schwerwiegende Leid der betroffenen Kinder und ihrer Familien. |
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Literatur
Weitere Literatur zum Thema Frühgeburt und Frühgeburtenvermeidung |
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