Einführung

Wiederholte Spätaborte und frühe Frühgeburten sind zwei der bislang noch ungenügend gelösten Probleme der Geburts- und Perinatal-Medizin, wie sie heute mancherorts noch praktiziert wird. Die betroffenen Patientinnen sind häufig stark belastet: Einerseits sehnen sie sich sehr nach einem Kind und auf der anderen Seite erfahren sie wiederholte Verluste, was häufig zu zunehmenden psychologischen Belastungen führt. Ihnen zu einem lebenden Kind zu verhelfen, ist in solchen Fällen eine besonders wichtige medizinische und psychologische Aufgabe.

Pathophysiologie

Eine Hauptursache für Spätaborte und frühe Frühgeburten (≤ 32+0 SSW) sind aus der Vagina aufsteigende Infektionen (vgl. „Allgemeines zu Fehl- und Frühgeburten/Ursachen“). Deswegen empfehlen wir für alle Schwangeren ein regelmäßiges Screening durch Arzt/Ärztin/Hebamme auf vaginale Milieustörungen oder Infektionen sowie die Teilnahme an unserer Selbstvorsorge-Aktion für Schwangere. Bei einigen Frauen reicht das aber nicht aus, und es kommt zu (wiederholten) Fehl- und Frühgeburten.

Zervixinsuffizienz vs. funktionelle Zervixverschlussstörung

In diesen Fällen wird leider immer noch häufig der Begriff „Zervixinsuffizienz“ verwendet. Wir sollten aber besser von „funktionellen Zervixverschlussstörungen“ sprechen. Ursachen können z. B. folgende sein (nach Ramsauer 2012)

  • Aufsteigende Infektionen
  • Unzureichende Produktion funktionellen Zervixschleims
  • Unzureichende funktionelle Zervixlänge für Druckbelastung durch das Uterusvolumen (z. B. nach Konisation oder bei Mehrlingsschwangerschaften oder Polyhydramnion)
  • Gewebeveränderungen der Zervix (Bindegewebserkrankungen, nach Trauma, Emmet-Riss oder multiplen Kürettagen)

Romereo et al. (2006) diskutieren zusätzlich noch angeborene Erkrankungen sowie eine Hemmung der Progesteron-Wirkung. Die Ursachen können sich natürlich auch gegenseitig bedingen, so können z. B. mehrere der genannten Ursachen das Aufsteigen von Infektionen begünstigen. Insgesamt spielen aber Infektionen bei weitem die größte Rolle. So liegt laut Romero bei Schwangeren, die das klinische Bild einer „Zervixinsuffizienz“ haben, in 51 % eine mikrobielle Invasion der Amnionhöhle (engl. MIAC: microbial invasion of the amniotic cavity) vor (Romero et al. 1992). Weitere Forschung in diesem Bereich ist unbedingt nötig.

Früher Totaler Muttermund-Verschluss als präventive Maßnahme

In Fällen von sich wiederholenden Spätaborten und Frühgeburten stellt der Frühe Totale Muttermund-Verschluss (FTMV) die effektivste Maßnahme in Form einer Prävention dar und unterscheidet sich grundlegend von einer Cerclage (s.u.). Der Frühe Totale Muttermund-Verschluss bildet eine vollständige Barriere gegen aufsteigende Infektionen innerhalb des Zervikal-Kanals. Wir führten diese Maßnahme 1981 ein (Saling 1981). Vor dieser Zeit gab es in der Literatur nur wenige Veröffentlichungen über einen operativen späten Muttermund-Verschluss. Der Verschluss wurde fast ausschließlich bei drohendem Abort, vor allem in fortgeschrittenen Stadien durchgeführt. Z. B. hat Szendi (1961) zwei Artikel über das Thema „Verhinderung von fortgeschrittenen Fehl- und Frühgeburten durch vollkommenen Muttermund-Verschluss“ veröffentlicht. Der Muttermund-Verschluss stellte also eine Notfallmaßnahme dar, vor allem wenn es zu einem Vorfall der Fruchtblase gekommen war.

Unser Ansatz war ein ganz anderer. Wir führten den Muttermund-Verschluss als Maßnahme der Frühprävention ein. Er sollte durchgeführt werden

  • bei Frauen mit einer belasteten Anamnese (s.u.)
  • früh in der Schwangerschaft (mit ca. 13+0  SSW)
  • und wenn die Zervix noch in einem anatomisch weitgehend unbeeinträchtigten Zustand ist.

Zwischen dem Totalem Muttermund-Verschluss (TMV) und der Cerclage (und im Prinzip auch zum gelegentlich verwendeten Pessar) besteht ein essentieller Unterschied. Während der Muttermund-Verschluss den Zervikalkanal tatsächlich verschließt und so in Form einer Barriere die Aszension von Mikroorganismen verhindert, wird der Zervikalkanal durch die Cerclage (oder durch ein Pessar) nur verengt (s. Abb. 1). Zusätzlich stabilisiert die durch den Muttermund-Verschluss entstandene Narbe das Gewebe. Die deshalb zwangsläufig wesentlich schlechteren Ergebnisse der Cerclage werden weiter unten noch besprochen.

Abb. 1: Vergleich zwischen Muttermund-Verschluss und Cerclage

Abb. 1: Vergleich zwischen Muttermund-Verschluss und Cerclage

Definitionen

Beim Totalen Muttermund-Verschluss (TMV) unterscheiden wir zwischen einem „frühen“ und einem „späten“ TMV (s. Tabelle 1). Wegen der erheblich besseren Ergebnisse bei der Vermeidung von Spätaborten und Frühgeburten (s.u.) empfehlen wir, den Muttermund-Verschluss so weit nur möglich „früh“ durchzuführen (FTMV).

Bezeichnung Abkürzung Definition bzw. Durchführung
Früher TMV FTMV ohne Verkürzung oder Eröffnung des Zervikalkanals (sonographische Zervixlänge ≥ 25 mm)
Später TMV STMV bei bereits verkürztem oder eröffnetem Zervikalkanal (sonographische Zervixlänge < 25 mm) – auch bei Fruchtblasenprolops möglich

Tabelle 1: Definitionen zum Totalen Muttermund-Verschluss (TMV)

Indikationen und Kontraindikationen

Indikationen für einen Frühen Totalen Muttermund-Verschluss (FTMV)

  1. Die „klassische Indikation“ für einen FTMV stellt ein später Abort (≥ 13+0 SSW) oder frühe Frühgeburten (< 28+0 SSW) in der Anamnese dar, die entweder auf eine Infektion zurückzuführen waren oder für die sich keine andere, spezifische Ursache finden ließ. (Bitte beachten Sie, dass eine der Hauptursachen für einen vorzeitigen Blasensprung aufsteigende vaginale Infektionen sind.)
  2. Bei Mehrlingsschwangerschaften konnte Schulze mit dem FTMV eine deutliche Absenkung der Frühgeburtenzahlen erreichen (u.). Anhand des vorliegenden Datenmaterials ist es noch zu früh, einen FTMV generell bei Zwillingsschwangerschaften zu empfehlen. Aber bei allen Drillings- (und höhergradigen Mehrlings-) Schwangerschaften sowie bei Zwillingsschwangerschaften mit zusätzlichen Risikofaktoren sollte unseres Erachtens die Möglichkeit eines FTMV unbedingt erwogen werden.
  3. Auch nach ausgedehnter Konisation wird wegen des erhöhten Frühgeburtsrisikos von einigen Ärzten inzwischen für die nachfolgende Schwangerschaft ein FTMV empfohlen (vgl. z. B. Ramsauer (2012). Dazu gibt es zurzeit leider noch keine Studien, aber man sollte diese Möglichkeit zumindest mit der Schwangeren diskutieren.
  4. Zustand nach wiederholten Hegar-Dilatationen
  5. Andere, seltenere Indikationen wären z. B. ein Z. n. Asherman-Syndrom (Dr. Nugent, Hamburg, pers. Mitteilung) oder einige Bindegewebserkrankungen.

Kontraindikationen für einen FTMV

Kontraindikationen sind persistierende Infektionen oder therapieresistente Wehen sowie vaginale Blutungen und ein Blasensprung..

Indikationen für einen späten Totalen Muttermund-Verschluss

Ein totaler Muttermund-Verschluss (TMV) wurde ursprünglich von Szendi 1961 als spät-therapeutische Notfallmaßnahme durchgeführt (Szendi 1961). Auch bei deutlich verkürzter Zervix und schon eröffnetem Muttermund mit Fruchtblasenprolaps ist ein Muttermundsverschluss noch sehr vielversprechend, Dabei ist dann die zusätzliche Durchführung einer Cerclage häufig sinnvoll.

  • z. B. bei auffälliger und zunehmender Verkürzung der Zervix
  • z. B. als Notfallmaßnahme in Verbindung mit Reposition einer prolabierten, aber noch intakten Fruchtblase. Einige Operateure verbinden in diesem Fall den TMV mit einer Cerclage. Während sie in den 1980er Jahren mit dem späten TMV in 40 % der Fälle Erfolg hatten (was damals schon ein großer Erfolg war!) (Giffei 1990, Saling 1990) sind die Ergebnisse bei diesen hochgradig gefährdeten Schwangerschaften (bei Durchführung durch erfahrene Operateure) mit inzwischen fast 90 % Erfolg sehr viel versprechend (s. z. B. Ramsauer 2012).

Soweit möglich, sollte aber dem präventiven (frühen) Verschluss unbedingt der Vorzug gegeben werden (s.a. unten bei „Ergebnisse“).

Zeitpunkt der Operation

Der frühe TMV sollte vorzugsweise mit 13+0SSW durchgeführt werden. Bei dem späten Muttermundsverschluss ist die Operation noch bis ca. 24+0 SSW möglich. Der Grund für diesen Zeitpunkt liegt zum einen darin, dass ein FTMV als präventive Maßnahme natürlich nicht zu spät durchgeführt werden soll.
Zum anderen möchte man nicht zu früh operieren und zunächst abwarten, ob im ersten Trimenon die Schwangerschaft erhalten bleibt (oder vielleicht ein Abort aus anderen Gründen erfolgt). Daher sollte ein FTMV nicht vor 12+0 SSW durchgeführt werden.

Präoperative Maßnahmen

Präoperativ müssen Untersuchungen auf Infektionen durchgeführt werden, z. B. Vaginal- und Zervikalabstriche mit mikroskopischer Untersuchung. Im Falle pathologischer Befunde sollte die Patientin eine entsprechende lokale oder systemische Therapie erhalten.

Zusätzlich kann das Scheidenmilieu durch Verabreichung eines Laktobazillus-Präparates aufgebaut werden.

Operationstechnik

Instrumentarium

Für die Durchführung des operativen Totalen Muttermund-Verschlusses (TMV) empfiehlt sich das übliche Instrumentarium für Operationen am Muttermund plus ein spezielles Schlingeninstrument sowie eine Abschleifvorrichtung, die beide weiter unten im Text erklärt werden. Die Abbildungen A und B zeigen das im Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln hierfür verwendete Instrumentarium. Spezielle Instrumente sind entsprechend gekennzeichnet.

Abb. A: Instrumentarium für den TMV (wie im Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln verwendet)

1) Schlingeninstrument zum Abbinden der Portio (von Faromed Art. Nr 11-400)
2) Abschleifvorrichtung (von Aesculap B. Braun, s.u.)
3) Fensterklemmen zum Fassen der Muttermund-Ränder bei bereits gering eröffnetem Muttermund (bei noch völlig geschlossenem Muttermund werden seitlich angesetzte Kugelzangen verwendet).

 

Abb. B: Abschleifvorrichtung

2a) Winkelhandstück (von Aesculap-B. Braun, Art. Nr. GD455M)
2b) Fräser (von Aesculap-B. Braun, Art. Nr. GD075R)
2c) Diamant-Schleifkörper (von Aesculap-B. Braun, Art. Nr. GC975R)


Schlingeninstrument zur Blutstillung

Vor Beginn der eigentlichen Muttermund-Verschluss-Operation empfiehlt es sich dringend, zur Vermeidung von Blutungen die Portio so hoch wie möglich zirkulär abzubinden, so dass eine fast vollständige Zirkulationsunterbrechung erreicht wird. Diese Maßnahme hat zwei entscheidende Vorteile:

  1. Der Blutverlust, der bei Schwangeren wegen der starken Vaskularisation beträchtlich sein kann, wird auf ein Minimum reduziert, und
  2. die Sicht beim Operieren und dem späteren Zunähen ist viel besser als sonst bei ständiger, mitunter diffuser Blutung.

Zum Unterbinden ist von uns ein spezielles Schlingeninstrument entwickelt worden (Saling 1989, s. Abb. 3 und 4)

Beim Schlingeninstrument befindet sich in einem Führungsrohr eine Stange mit Sperrverzahnung (s. Abb. 4) Diese ermöglicht es, die vorher um die Portio zirkulär angebrachte flexible Schlinge (s. Abb. 3) aus rostfreiem Stahldrahtgeflecht bis zur erwünschten Spannung fest zu ziehen und in diesem festgezogenen Zustand zu fixieren.

Die Schlinge sollte so festgezogen werden, dass eine nur geringfügige Blutung bestehen bleibt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Zirkulation im Gewebe nicht völlig unterbrochen ist.

Wenn nach Abschluss des Eingriffes die Blutstillung aufgehoben werden soll, wird die Zahnstange um etwa 90 Grad gedreht. Die Sperrfeder gleitet dabei aus der Zahnung und gibt die Schlinge frei. Durch Hochschieben der Zahnstange wird die Schlinge gelockert, und die gesamte Vorrichtung kann leicht entfernt werden. Das Schlingeninstrument ist erhältlich bei der Faromed GmbH, Berlin.

Entfernen des Epithels

Wie zuvor schon betont: Der Muttermund kann nur dann vollständig zusammenwachsen, wenn vor dem Vernähen die Oberfläche des Zervixepithels angefrischt bzw. das Epithel möglichst vollständig entfernt wird. (Ansonsten handelt es sich nicht um einen Muttermund-Verschluss nach Saling, sondern nur um eine Form der Cerclage.)

Das Abschleifen des Epithels erfolgt mit einem hochtourig rotierenden Schleifinstrument (s. Abb. 5 und 7) (Firma Aesculap)und stellt eine schonende und sichere Methode dar.

Nach Abschleifen der Portiooberfläche wird, unter Spreizen des äußeren Muttermundes mit Moskito-Klemmen, auch ca. 1–2 cm hochreichend im Zervikalkanal, das Drüsenepithel im Zervikalkanal ebenfalls mit der rotierenden Drahtbürste möglichst ganz entfernt (Abb.6).

Abb. 7: Abschleifen des Drüsenepithels im Zervixkanal

Abb. 6-7: Abschleifen des Drüsenepithels im Zervixkanal

 

Nahttechnik

Es folgen nun 2–3 innere zirkuläre Nähte (s. Abb. 7). Anschließend werden 2 quere Knopfnahtreihen gesetzt, die den äußeren Muttermund total verschließen (Abb. 8). Für alle Nähte empfehlen sich synthetische monofile Fäden (PDS), weil diese im Vergleich zum Catgut ein deutlich reaktionsloseres Abheilen ermöglichen.

Postoperativ

Wiederaufbau des Vaginoms

Nach der OP sollten für 4 Wochen keine vaginale Medikamentenaplikation erfolgen. Zur Unterstützung des Mikrobioms kann eine orale Therapie durchgeführt werden. Die eventuell notwendige Gabe von Progesteron sollte auch für die ersten vier Wochen nach der Operation oral erfolgen.

Verhalten nach der Operation

Eine körperliche Schonung ist nach der Operation nicht erforderlich, Es sollten keine Vollbäder und kein Geschlechtsverkehr erfolgen. Abb. 9 zeigt den Befund nach OP und Abheilung.

Abb. 9: Zustand nach Abheilung

Abb. 10: Zustand nach Abheilung

Verkürzung der Cervix nach dem FTMV

In einigen Fällen kommt es einige Zeit nach dem FTMV zu einer Verkürzung oder sogar Trichterbildung der Cervix. Ohne FTMV würde man dies als Risikohinweis für eine drohende Frühgeburt werten. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass eine Verkürzung nach FTMV nicht von Bedeutung ist. Es handelt sich um Schrumpfungserscheinungen der ausheilenden Narbe. Und ist kein prognostischer Marker für eine drohende Frühgeburt. Daher ist es nach einem FTMV nicht nötig, die Zervixlänge sonographisch zu kontrollieren. Tatsächlich könnte die Schwangere dadurch unnötig verunsichert werden.

Maßnahmen am Ende der Schwangerschaft

Unter der Geburt öffnet sich die Narbe am äußeren Muttermund meist spontan. Geschieht dies nicht, so kann man ärztlicherseits während der Wehen mit dem Finger nachhelfen (Abb. 10).

Abb. 10: Einführen des Fingers Richtung innerer Muttermund

Abb. 10: Einführen des Fingers Richtung innerer Muttermund

Entbindungsmodus

Auf keinen Fall sollte allein wegen des Muttermund-Verschlusses eine primäre Sectio erwogen werden. Im Gegenteil: Wir empfehlen wenn möglich eine vaginale Geburt, weil dadurch die Portio rekanalisiert und somit die Wiederherstellung normaler anatomischer Verhältnisse gefördert wird.
Bei einer Sectio muss die Zervix ggf. operativ rekanalisiert werden.

Zustand nach der Geburt

Bei allen Patientinnen, bei denen eine vaginale Geburt nach dem FTMV erfolgt war, wuchs im Wochenbett Epithelgewebe innerhalb kurzer Zeit (wenige Wochen) über das Wundareal der Portio, und es ist – besonders seitdem die schonende Epithel-Abschleiftechnik verwendet wird – überraschend, wie wenig der Portio später nach Rückbildung im Wochenbett die vorausgegangene Operation anzusehen ist.

Ergebnisse

Um den Ausgang der Schwangerschaft nach FTMV, insbesondere im Vergleich zur Cerclage einschätzen zu können, sollte man nur Hochrisiko-Gruppen, wie jene, die oben (s. Indikationen) für den FTMV dargestellt wurden, in die Auswertung einbeziehen. Dies ist allerdings in klassischen Studien nicht mehr möglich. Es würde bedeuten, dass eine Gruppe von Schwangeren, die eine Indikation zur Durchführung des FTMV´s hätte in die Gruppe gelost wird, die nicht operiert wird und verglichen mit der Gruppe, die Operiert wird. Das ist bei den schon bekannten guten Ergebnissen nach FTMV nicht mehr ethisch zu vertreten.

Es gibt aber Untersuchungen die den Ausgang der Schwangerschaft mit FTMV mit dem Ausgang früherer Schwangerschaften dieser Patientinnen, am besten mit der unmittelbar vorausgegangenen Schwangerschaft, verglichen haben (Hormel und Künzel 1995, Saling 1984, Saling und Schumacher 1996).

Ergebnisse aus den 1980er und 1990er Jahren

1990 haben wir retrospektiv die Daten einer Gruppe von Patientinnen mit habitueller Abort- oder Frühgeburtsneigung ausgewertet (Giffei 1990, Saling 1990). Bei 113 Patientinnen wurden von insgesamt 389 gewünschten Schwangerschaften nur 101 Kinder lebend geboren (26 %). 35 dieser Kinder starben jedoch noch in der Neonatalperiode. Demnach überlebten nur 66 Kinder; die Chance, ein überlebendes Kind zu behalten, lag also bei nur 17 %. Nach Durchführung des Totalen Muttermund-Verschlusses (TMV) waren in derselben Patientinnengruppe 132 Schwangerschaften mit 94 lebenden und auch überlebenden Kindern zu verzeichnen. Die Chancen stiegen damit auf rund 71 %. Wir konnten außerdem zeigen, dass unsere Ergebnisse mit dem „frühen“ TMV zweimal so gut wie mit dem „späten“ TMV waren (80 % vs. 40 %).

Betrachtet man die 38 Fälle mit missglückten Schwangerschaften, dann waren es 10 mal Frühgeborene mit extrem niedrigen Geburtsgewicht, die kurz post partum verstarben. In den restlichen Fällen lagen Aborte vor, von denen 13 nach spätem Verschluss auftraten und 15 nach frühem Verschluss. Die Abortraten nach „spätem“ Verschluss betrugen somit 43 %, nach „frühem“ dagegen nur 15 % (Saling 1990).

Ähnlich gute Ergebnisse wurden auch in anderen Kliniken mit dem Totalen Muttermund-Verschluss erzielt: 1996 veröffentlichten wir die Ergebnisse einer Multi-Center-Erhebung, an der sich 11 deutsche Kliniken beteiligt hatten (Saling und Schumacher 1996) und bei der der Ausgang von insgesamt 819 Schwangerschaften mit TMV untersucht wurde. Es zeigte sich, dass die Rate von überlebenden Kindern vor Durchführung des TMV 21 % gewesen war, im Vergleich zu 74 % der Schwangerschaften mit TMV. Hormel und Künzel (1995) berichteten über ähnlich gute Ergebnisse.

Betrachtet man den Geburtsmodus, so hatten 71 % der Patientinnen unseres Kollektivs mit TMV eine Spontangeburt; insgesamt 86 % sind vaginal entbunden worden. Die Rate an Sectiones lag bei 14 % bei einer damaligen Sectio-Rate von 9 % aller Geburten in der gesamten Abteilung (Saling 1990). Diese relativ geringe Sectio-Rate zeigt, dass nach TMV die Geburt (nach vorheriger Eröffnung der Narbe) zumeist ohne Probleme vaginal erfolgen kann. Dies ist sogar empfehlenswert, da dabei die Zervix gedehnt wird, was für den Rückbildungsprozess nach dem operativen Verschluss als günstig anzusehen ist.

1997 berichteten wir über die Ergebnisse einer Nachuntersuchung bei 52 Frauen nach Schwangerschaft mit TMV (Saling und Schumacher 1997). Auf der Basis dieser Ergebnisse lässt sich schließen, dass im Zusammenhang mit dem operativen Totalen Muttermund-Verschluss keinerlei ins Gewicht fallenden negativen Auswirkungen festgestellt werden konnten.

Ergebnisse von 2008 bis 2011

In der Zusammenstellung der Schwangerschaftsverläufe nach Muttermundsverschluss von Ramsauer 2012,wird sogar über noch bessere Zahlen berichtet: Ramsauer bezeichnet in ihrer Veröffentlichung den FTMV als prophylaktischen oder „primären Zervixverschluss“. Damit konnten im Zeitraum von 2008–2011 bei 315 Schwangerschaften eine Erfolgsrate von 95 % und mit dem sog. sekundären Zervixverschluss (später TMV) immerhin noch Erfolge um die 90 % erreicht werden.

FTMV versus Cerclage

Die Cerclage ist eine – trotz kontroverser Diskussionen – immer noch weit verbreitete Maßnahme und es existieren zahlreiche Publikationen darüber. Einige Autoren berichten von guten Ergebnissen, aber man sollte sich diese Berichte kritisch ansehen und prüfen, ob die Cerclage bei Frauen mit einem ähnlich hohen Risiko, wie oben erwähnt, durchgeführt wurde. Die Cerclage – das trifft im Prinzip auch für Pessare zu – ist kaum in der Lage, aufsteigende Infektionen zu verhindern, da sie den Zervikal-Kanal nur verengt aber nicht verschließt (s.o., Abb. 1). Die Cerclage in Kombination mit dem späten Muttermundsverschluss ist bei bereit eröffnetem Muttermund und zusätzlichem Fruchtblasenprolaps sinnvoll. Der Muttermundsverschluss verhindert die aszendierende Infektion, die Cerclage gibt eine äußere Stabilität bei dem bereits deutlich erweitertem Cervikalkanal. (Eine ausführliche Diskussion der verschiedenen operativen Möglichkeiten ist in Vetter und Kilavuz (2001) zu finden.)

Mehrlingsschwangerschaft und FTMV

Die bisher dargestellten Zahlen beziehen sich alle auf Frauen, die in der Vorgeschichte bereits mindestens eine Früh- bzw. späte Fehlgeburt hatten. Inzwischen gibt es eine Untersuchung, bei der der FTMV bei Mehrlingsschwangerschaften (die ja bekanntermaßen ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko haben) präventiv eingesetzt wurde, auch wenn die Frauen nicht anamnestisch belastet waren:

Schulze führte in der Frauenklinik Cottbus (Deutschland) seit 1990 bei jeder Mehrlingsschwangerschaft – falls die Patientin seinem Vorschlag zustimmte – einen FTMV prophylaktisch durch und hat damit bemerkenswerte Erfolge erzielt: Bei insgesamt 219 Mehrlingsschwangerschaften führte er bei 96 Frauen den FTMV durch, 123 Frauen erhielten keinen FTMV. Die Rate der sehr früh Frühgeborenen – also < 32SSW – lag bei 24 % der Fälle ohne FTMV und bei 13,5 % der Fälle mit FTMV. Bei den besonders stark gefährdeten Kindern, die mit weniger als 28 abgeschlossenen SSW geboren wurden, lag die Rate mit FTMV bei 1 % und bei 4 % ohne FTMV. Konsequenterweise ist auch die perinatale Mortalität in Fällen nach FTMV fast um die Hälfte niedriger. Mit FTMV betrug sie 2,5 % und ohne 4,1 % (Schulze 2008).

Als allgemeine Empfehlung sollte bei Zwillingsschwangerschaften und einem zusätzlichen Risiko für eine Frühgeburt ein Muttermundsverschluss erwogen werden. Bei Drillingsschwangerschaften oder höhergradigen Mehrlingen ist ein Muttermundsverschluß dringend zu empfehlen.

Schlussfolgerung

Auf der Basis der bisherigen Erfahrungen und Ergebnisse stellt der Totale Muttermund-Verschluss – insbesondere der frühe Verschluss – eine überzeugend effiziente operative Maßnahme zur Vermeidung später Aborte und früher Frühgeburten dar.

Patientinneninformation zum Muttermund-Verschluss

Auf unserer Website sind auch Informationen über den Frühen Totalen Muttermund-Verschluss für Patientinnen enthalten. Diese können auch gerne als PDF-Datei zur Weitergabe an die Patientinnen ausgedruckt werden.

Adressen

Wir führen eine Liste mit Adressen von geburtsmedizinischen Abteilungen, bzw. Frauenkliniken, in denen der Muttermundverschluss nach Saling durchgeführt wird. Wir beraten Sie gerne, welche die geeignetste Klinik ist. Dabei sollten ggf. auch längere Fahrtwege in Kauf genommen werden, damit Ihre Patientinnen von der Erfahrungen der Klinik profitieren können.

Literatur

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  • Hormel K, Künzel W (1995): Der totale Muttermundverschluß. Prävention von Spätaborten und Frühgeburten, Gynäkologe 28 (3), 181–186
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    Z. Geburtsh. Neonat. 200: 82–87

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English article to print

  • Saling E, Schreiber M, Lüthje J (2001): Role of operative early total cervix occlusion for prevention of late abortion and early prematurity.
    In: Carrera JM, Cabero L, Baraibar R (eds.): The perinatal medicine of the new millennium. Proceedings of the 5th world congress of Perinatal Medicine, Barcelona, Spain, September 23–27, 2001. Monduzzi, Bologna. 602–607
    Full text article (Permission for internet publishing kindly granted by Monduzzi Editore)