- Einführung
- Aufklärung über Risikofaktoren
- Messung des vaginalen pH-Wertes
- Selbstbeobachtung von Warnhinweisen
- Vorteile der Selbstvorsorge-Aktion
- Ergebnisse
- Eigene Untersuchungen
- Ergebnisse der Erfurter und Thüringer Frühgeburtenvermeidungs-Aktion
- Schlussfolgerung
- Schwangeren-Selbstvorsorge-Pass
- Patientinneninformation
- Literatur

Einführung
m Gegenmaßnahmen so früh wie möglich und nicht erst dann zu ergreifen, wenn bereits eine konkrete Symptomatik der drohenden Frühgeburt vorliegt, haben wir 1993 das Frühgeburten-Vermeidungsprogramm weiter ausgebaut (Saling et al. 1994, Saling et al. 1999. Saling et al. 2000), wobei die Schwangeren in Form einer „Selbst-Vorsorge-Aktion“ (SVA) einbezogen werden. Diese Maßnahme ist zusätzlich zur üblichen ärztlichen Schwangerenvorsorge gedacht, und der Schwangeren wird geraten, sich bei Auffälligkeiten umgehend mit ihrer betreuenden Ärztin / ihrem betreuenden Arzt in Verbindung zu setzen.
Hauptbestandteile der Selbstvorsorge-Aktion sind:
- Aufklärung über Risikofaktoren
- regelmäßige Messung des vaginalen pH-Wertes durch die Schwangere selbst
- Selbstbeobachtung von Warnhinweisen
Die Handschuhe für die Selbstmessung des vaginalen pH-Wertes (CarePlan VpH-Testhandschuhe) sind über die Apotheke zu beziehen.
Aufklärung über Risikofaktoren
Die Schwangeren werden im Informationsmaterial darüber aufgeklärt, bei welchen anamnestischen Ereignissen oder Besonderheiten in der jetzigen Schwangerschaft ein erhöhtes Frühgeburtsrisiko besteht.
Messung des vaginalen pH-Wertes
Jeder Schwangeren wird empfohlen, zweimal wöchentlich bei sich selbst mit Hilfe der von Prof. Saling entwickelten Testhandschuhe (CarePlan® VpH-Testhandschuhe, s. Abb. 1) den Scheiden-pH-Wert zu messen. Der Messvorgang ist denkbar einfach. Die Frau streift den Handschuh über, auf dem im Bereich der Zeigefingerkuppe das Indikatorfeld angebracht ist. Der Zeigefinger wird dann unter drehenden Bewegungen etwa 2–3 cm tief in die Scheide eingeführt. Die Indikatorschicht kommt so mit der Scheidenflüssigkeit in Berührung, verfärbt sich und die Farbe des Indikatorfeldes wird anschließend mit einer Farbskala verglichen, dabei wird der pH-Wert abgelesen. Der Wert ist normal, wenn sich das Indikatorfeld gelb verfärbt hat, was den pH-Werten 4,0 oder 4,4 entspricht. Eine Farbänderung in Richtung dunklerer Töne entspricht erhöhten Werten (≥ 4,7). Bei einmalig erhöhtem Wert auf 4,7 oder mehr wird der Schwangeren geraten, nach einigen Stunden bzw. am nächsten Morgen erneut zu messen. Ist der Wert dann immer noch erhöht, sollte die Schwangere unverzüglich ihre Frauenärztin / ihren Frauenarzt aufsuchen. Wird dort die reduzierte Ansäuerung bestätigt, sollte weitere Diagnostik und eine dementsprechende Therapie erfolgen (Genaueres hierzu s. Frühgeburten-Vermeidungsprogramm).
Selbstbeobachtung von Warnhinweisen
Unabhängig von der vaginalen pH-Selbstmessung, werden alle an der Selbstvorsorge-Aktion teilnehmenden Schwangeren im Informationsmaterial über möglicherweise im weiteren Schwangerschaftsverlauf auftretende Warnhinweise aufgeklärt und angehalten, ggf. gleich ihren Arzt aufzusuchen.
Vorteile der Selbstvorsorge-Aktion
Durch die aktive Beteiligung der Schwangeren liegt der Hauptnutzen in dem frühestmöglichen Erkennen von pH-Wert-Abweichungen und somit im rechtzeitigen Erfassen eines beträchtlichen Teiles von spätabort- und frühgeburstrelevanten Störungen – was bislang in einem so frühen Stadium kaum möglich gewesen ist.
Nimmt eine Schwangere an der Selbst-Vorsorge-Aktion (SVA) teil, so reduziert sie bei zweimaliger wöchentlicher pH-Messung das Untersuchungsintervall ganz beträchtlich (bis auf ein Achtel) und erhöht damit die Chancen, dass Risikosymptome, statt im Rahmen der ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen, die üblicherweise zumeist in mehrwöchigen Abständen stattfinden, nunmehr in einem drei- bis viertägigen Zeitintervall erfasst werden können.
Auch ermöglicht die häufige Messung durch die Schwangere eine gute Verlaufskontrolle. Das Verhalten der vaginalen Azidität, im besonderen bei therapeutischen Maßnahmen, kann in kurzen Abständen, bei Störungen sogar täglich, durch pH-Selbstmessung beobachtet werden, z. B. ob und wie eine azidierende Therapie mit einem Lactobacillus-Präparat auch pH-wirksam ist. Besser als bisher lassen sich unverzüglich die weiteren therapeutischen Maßnahmen ergreifen sowie die Dosis und Applikationshäufigkeit anpassen.
Ergebnisse
Eigene Untersuchungen
In vollem Ausmaß läuft die Selbstvorsorge-Aktion seit September 1993 (Saling et al. 1994, 1999).
Abbildung 2 zeigt einige Ergebnisse: Von 1715 Frauen, deren Daten bereits ausgewertet wurden, waren 35 % (n=595) Erstschwangere und 65 % (n=1120) Mehrfachschwangere. Von besonderem Interesse sind die anamnestischen Angaben im Kollektiv der Mehrfachschwangeren. Hieraus geht hervor, dass auffallend viele von ihnen, nämlich rund 18,3 %, bereits in vorausgegangenen Schwangerschaften untergewichtige Kinder (< 2500 g) zur Welt gebracht haben. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass es sich bei den an der SVA teilnehmenden Frauen nicht um ein in dieser Hinsicht weitgehend risikoarmes, also ein positiv selektiertes, Kollektiv handelt. Vielmehr spricht die anamnestisch ermittelte hohe Rate an untergewichtigen Kindern – sie liegt in der Gesamtbevölkerung bei 5–6 % – wie auch eine erhöhte Abortrate in den vorausgegangenen Schwangerschaften eher dafür, dass es sich um ein Kollektiv mit erhöhtem Risiko handelt. So wiesen, nach Angaben der Patientinnen, rund 60 % in der jetzigen Schwangerschaft einen „gestörten“ Verlauf auf.
Bei allen an der SVA teilnehmenden Frauen lag die Rate an untergewichtigen Kindern mit 6,2 % dreimal niedriger als in den jeweils vorausgegangenen Schwangerschaften mit 18,3 %. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass die Zahl der Kinder mit sehr niedrigem Geburtsgewicht jetzt mit 1,3 % 6-mal niedriger lag als in den unmittelbar vorausgegangenen Schwangerschaften mit 7,8 %. Die Rate der Kinder mit extrem niedrigem Geburtsgewicht betrug jetzt 0,9 %, im Vergleich zu 3,9 %.
Von Interesse ist auch die Frage, wie häufig sich sehr frühe bzw. extrem frühe Frühgeburten wiederholt haben. Bei den 40 Frauen, die vorher ein sehr früh Frühgeborenes vor Abschluss von 32 SSW zur Welt gebracht hatten, ist es unter der Teilnahme an der SVA, nur in 10 % zu einer Frühgeburt unter 32 SSW gekommen. Von den 23 Frauen mit extrem früh Frühgeborenen (< 28+0 SSW) in der unmittelbar vorausgegangenen Schwangerschaft kam es in keinem Fall zur Wiederholung.
Ergebnisse der Erfurter und Thüringer Frühgeburtenvermeidungs-Aktion
Die eben genannten Zahlen wurden bei Frauen erhoben, die sich direkt an unser Institut gewandt hatten, um an der SVA teilzunehmen. Die Daten wurden von den Patientinnen selbst dokumentiert. Wissenschaftlich besser fundiert sind prospektive Untersuchungen und von Ärzten dokumentierte Daten. In Erfurt wurde von Hoyme et al. (1998) eine solche prospektive Aktion mit der von uns entwickelten SVA durchgeführt (dort „Frühgeburtenvermeidungs-Aktion„ genannt). Dabei wurde in ca. der Hälfte der Erfurter Frauenarztpraxen den Patientinnen die SVA empfohlen, die andere Hälfte hat ihre Patientinnen nicht darüber informiert. Die Rate der sehr früh frühgeborenen Kinder war 3,3 % bei Frauen ohne SVA und 0,3 % mit SVA (Hoyme et al. 2002).
In Anbetracht dieser guten Resultate wurde im Jahr 2000 im gesamten Bundesland Thüringen mit Unterstützung der Landesregierung eine prospektive Untersuchung durchgeführt: Verglichen wurden hier die Geburten und deren Daten im 1. Halbjahr (HJ) 2000, bei denen den Müttern vorher in der Schwangerschaft die Teilnahme an der SVA nicht angeboten worden war, mit den Geburten im 2. HJ. 2000, bei denen den Müttern vorher in der Schwangerschaft eine Teilnahme an der SVA empfohlen wurde. Sowohl die Raten der sehr früh Frühgeborenen, als auch die Raten aller untergewichtigen Kinder konnten in Thüringen signifikant gesenkt werden. Hier die wichtigsten Ergebnisse:
Von den 7870 Frauen des 1. HJ erlitten 1,58 % sehr frühe Frühgeburten (< 32+0 SSW), während es von den 8406 Frauen des 2. HJ mit Einsatz der SVA nur noch 0,99 % betraf (Abb. 3). Auf die Geburtsgewichte bezogen konnte vom 1. zum 2. HJ die Rate der Kinder mit extrem niedrigem Gewicht (< 1000 g) von 0,61 % auf 0,38 % gesenkt werden. Die Rate der Kinder mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (< 1500 g) sank von 1,29 % auf 0,97 % (Abb. 4). Bei den eben genannten Zahlen muss man berücksichtigen, dass sich nicht alle Thüringer Arztpraxen beteiligt haben und daher nur an ca. 50 % aller Schwangeren in Thüringen Testhandschuhe und Informationsmaterial verteilt wurden. D.h., die Ergebnisse wären mit großer Wahrscheinlichkeit noch besser, wenn tatsächlich alle Schwangeren diese Möglichkeit der Selbstvorsorge genutzt hätten. Die Ergebnisse sind in Abbildung 3 und 4 sowie ausführlich in Hoyme et al. (2002) dargestellt.

Abb. 3: Thüringer Frühgeburten- vermeidungsaktion 2000
Raten sehr früh Frühgeborener und aller Frühgeborener nach Hoyme et al. (2002).

Abb. 3: Thüringer Frühgeburten- vermeidungsaktion 2000
Raten der Kinder mit extrem niedrigem und sehr niedrigem Geburtsgewicht nach Hoyme et al. (2002).
Die weitere Entwicklung lieferte die Gegenprobe: Seit Beendigung der Thüringer Frühgeburtenvermeidungsaktion sind die Frühgeburtenzahlen wieder deutlich gestiegen. Hier nur einige ausgewählte Ergebnisse (Hoyme und Saling 2004): Z. B. betrug die Rate der Kinder unter 1500 g GG im 1. Halbjahr des Jahres 2000 1,29 %, im 2. Halbjahr 0,97 % und im Jahre 2002 waren es wieder 1,29 %.
Bei den besonders frühgeburtsgefährdeten Mehrlingsschwangerschaften zeigte sich ebenfalls eine deutliche Abnahme der Frühgeburten. Die Ergebnisse der insgesamt geborenen 120 Mehrlinge im 1. HJ und der 98 Mehrlinge im 2. HJ sind in Abbildung 5 dargestellt (Hoyme et al. 2005).

Abb. 5: Thüringer Frühgeburten- vermeidungsaktion 2000
Geburtsgewicht von frühgeborenen Mehrlingen nach Hoyme et al. (2005). Bitte klicken Sie auf das Miniaturbild.
Schlussfolgerung
Die genannten Zahlen zeigen, dass sich durch die aktive Selbstbeteiligung der Schwangeren zahlreiche, besonders frühe, Frühgeburten vermeiden lassen. Diese Ergebnisse sind insofern ein Durchbruch, als es durch andere Maßnahmen seit Jahrzehnten nicht gelungen war, die Frühgeborenenrate auf breiter Ebene, z. B. Landesebene, überzeugend und dauerhaft zu senken. Zusätzlich weist unser Programm eine frappante Einfachheit auf und verursacht dabei nur niedrige Kosten.
Diese Form der Selbstvorsorge sollte möglichst allen Schwangeren angeboten und in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen werden. In den letzten Jahren wurden und werden von den Krankenkassen mehrere Modellprojekte mit dem von Prof. E. Saling entwickelten Selbstvorsorge-Programm für Schwangere durchgeführt. Es empfiehlt sich ggf. bei der zuständigen Krankenkasse nachzufragen.
Schwangeren-Selbstvorsorge-Pass
Als Ergänzung zu dem von der Frauenärztin / dem Frauenarzt geführten Mutterpass haben wir einen sog. „Schwangeren-Selbstvorsorge-Pass“ entwickelt, welcher den Frauen eine eigene Dokumentation der Schwangerschaft aus ihrer Sicht ermöglicht. Dies bietet mehrere Vorteile:
- Zahlreichen Schwangeren wird der Wunsch erfüllt, selbst wichtige Ereignisse in ihrer eigenen Schwangerschaft, die für eine Risikoeinschätzung bedeutend sind, zu dokumentieren.
- Die von den Schwangeren aufgezeichneten Daten lassen sich weit besser medizinisch nutzen, als oft lückenhafte, nur aus der Erinnerung gemachte Angaben.
- Dieser Pass, der ursprünglich für die elementare Datenerfassung im Rahmen der Selbstvorsorge-Aktion für Schwangere entwickelt wurde, ermöglicht auch die Erfassung selbst gemessener pH-Werte in der Scheide. Er könnte in Zukunft systematisch ausgebaut werden, um die Schwangerenvorsorge überhaupt weiter zu verbessern.
Der Selbstvorsorge-Pass kann hier als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn interessierte Hebammen, Ärztinnen und Ärzte – aus ihrer eigenen Sicht und Erfahrung heraus – uns Vorschläge für den weiteren Ausbau des Schwangeren-Selbstvorsorge-Passes unterbreiten würden, wobei vorrangig ganz wesentliche, medizinisch bedeutsame Aspekte berücksichtigt werden sollten.
Patientinneninformation
Kurzinformationen über die SVA zum Auslegen für die Praxis können hier als PDF-Datei heruntergeladen oder bei uns angefordert werden. Wir schicken Ihnen auch gerne Informationsbroschüren über die Arbeit unseres Institutes zu.